Mittwoch, 11. Mai 2016

Kapitel 5, Part 4


Ein wenig windschief stand es vor ihm und machte keinen sonderlich einladenden Eindruck. Das zusammengenagelte Gebäude war nicht sonderlich groß, sollte aber einem Dutzend Besuchern Platz bieten können, schätzte Karas ab. Es stieg kein Rauch aus dem Gebäude aus und auch sonst schien es nicht so, als wäre die Hütte tatsächlich bewohnt.
Aber warum steht sie dann hier? Irgendjemand muss das Ding doch gebaut haben.
Wenn es nach dem jungen Mönch ging, könnten dort aber auch gefährliche Fabelwesen lauern, so lange er dort einen Happen zu essen vorfinden konnte. Für ein Laib Brot oder vielleicht sogar einem herzhaften Eintopf oder ein Stück sehniges Fleisch würde er es auch mit den schlimmsten Monstern in diesen Landen aufnehmen. Wie um seine Gedankengänge zu unterstreichen knurrte sein Magen laut auf, ein absurdes Geräusch, wenn man bedachte, dass er vor zwei Minuten dem sicheren Tod entgangen war.
 Bekomme ich nichts zwischen die Zähne bin ich ohnehin am Ende. Ich habe also nichts zu verlieren. Mal sehen, was es dort zu finden gibt…
Mit immer noch zitternden Beinen schleppte er sich auf das hölzerne Haus zu und behielt dabei vorsichtig die Fenster im Auge, immer auf der Suche nach einem verräterischen Schatten im Inneren. Im Grunde hätte er sich dies auch sparen können, denn dort vor ihm stand seine letzte Chance, dem kläglichen Hungertod zu entkommen. Jetzt oder nie, Leben oder Sterben. Die Fakten sprachen eine klare Sprache, dazwischen gab es nichts.
Seine potentielle Zuflucht begrüßte ihn mit knarzendem Wehklagen, die die dilettantisch veranschlagten Bretter immer dann von sich gaben, wenn die äußeren Einflüsse daran zerrten. Die zwei dicken Bäume, die jeweils links wie rechts das Häuschen flankierten, wirkten wie stille Wächter die es vor dem Umfallen stützten. Baumwurzeln und Äste rankten sich um die Seiten der Hütte und das Dach war von einer dicken Moosschicht bedeckt. Es sah nicht so aus, als wäre sein Ziel erst vor kurzer Zeit erbaut worden. Das Gebäude wirkte ähnlich alt, wie die massiven Stämme, mit der wettergegerbten Farbe sowie den gesplitterten Holzbrettern.
Die Bewohner haben den Ort bestimmt verlassen, wer will hier schon leben? Damit sinkt natürlich meine Chance, dort Verpflegung zu finden und mich auszuruhen. Hätte ich doch nur meine letzten Rationsreste vor meiner Flucht mitgenommen…was mache ich denn jetzt nur?
Mit trotzigem Gesichtsausdruck stapfte er vorwärts, nicht gewillt, jetzt aufzugeben und sich seinem Schicksal zu ergeben. Seine Schritte wurden von dickem Moos gedämpft, als er den Eingang endlich erreichte. Für einen kurzen Moment überlegte sich Karas, ob er einfach eintreten sollte oder doch lieber höflich klopfen sollte. Auch wenn es sich überflüssig anfühlte, klopfte er gegen die marode Tür und lauschte gespannt auf eine Reaktion. Nichts.
Keine Schritte oder Bewegungen waren im Inneren zu hören. Sein Herz sank ihm in die Hose.
Bewohner würden wenigstens Nahrung bedeuten, aber so…naja, einen Blick werde ich dennoch dort hineinwerfen, man weiß ja nie.
Als sich seine Hand dem nass-klebrigen Türgriff näherte, schwang sie ohne Vorwarnung nach innen auf. Der junge Mönch konnte nur mit Mühe einen überraschten Schrei unterdrücken und zuckte stattdessen nur wie vom Blitz getroffen zusammen.
War das…der Wind? Oder ist der Riegel einfach nur beschädigt?
„Tritt ein, Junge. Tritt ein“, schnarrte eine Stimme aus dem Raum, „hier ist genug Platz für uns Beide. Ja, genug Platz.“ Die Stimme kicherte quietschend. Plötzlich war er sich nicht mehr ganz so sicher, ob er sich noch immer nach Gesellschaft sehnte.

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