Donnerstag, 10. März 2016

Kapitel 1, Part 2

Der Weg durch den steinigen Flur hinaus in die Welt war keine lange Reise. Es dauerte nicht lange und er ließ die geschützte Umgebung seines Zuhauses hinter sich und trat aus dem Gebäude. Sanft schloss er die schwere Eichentür und füllte danach seine Lungenflügel mit einem Zug frischer Luft. Kalte, aber jungfräuliche Luft, die nicht mit den Gerüchen der Fackeln oder Laternen der Innenräume geschwängert war. Er liebte sein Zimmer, aber hier draußen auf der Mauer fühlte er sich frei. Frei wie ein Vogel, vor allem bei dem Ausblick, der sich hier einem bieten konnte. Seine Stiefel waren auf dem festen Untergrund kaum zu hören, als er sich dem Rand seiner Heimat näherte. Ein strammer Windstoß ließ die Robe wild flattern und jagte Karas einen Kälteschauer über den Rücken.
Die Temperaturen sollten zu der Jahreszeit in der Tat ein wenig angenehmer sein. Ich kann mich nicht an das letzte Mal erinnern, an dem die Nächte so frostig gewesen sind.
Trotzdem genoss Karas den Moment in vollen Zügen. Mit geschlossenen Augen stand er einfach in der Dunkelheit und kostete das friedliche Geräusch des Windes. Seine Arme waren vor der Brust verschränkt, die Atmung flach und die Aufregung der letzten Stunde verschwand vollends aus seinem Körper. Der vergangene Albtraum war nur noch ein unwichtiger Bestandteil in seinen Gedanken, irgendwo im hinteren Ende seines Geistes verborgen. Nicht der Rede wert und sicherlich auch kein Grund, den Ursprung weiter zu verfolgen.
Es war nur ein Traum. Nicht mehr und nicht weniger.
Karas wusste nicht, wie lange er dort mit verschlossenen Lidern gestanden hatte, aber als er sie wieder öffnete, konnte er am Horizont die ersten zaghaften Strahlen der aufgehenden Sonne entdecken. Der Stoff seiner Robe hatte sich beruhigt und hing nun locker über der Schulter. Die brausende Luftzüge waren verschwunden. Der Tag brach langsam an.
Es würde nicht lange dauern und die Vögel am Waldrand würden mit ihren Gesängen beginnen und das Land mit Leben füllen. Der Tau auf den Gräsern würde sich verflüchtigen und das saftige Grün der Gräser freigeben. Von hier oben, wirkte die Welt, die sich vor ihm erstreckte, wie ein Ort, der förmlich nach einer Erkundung bettelte. Landstriche voller Wunder, voller Dinge, die Karas noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Ein großes, unentdecktes Phänomen, welches er nur zu gerne kennenlernen wollte.
Vielleicht bald...vielleicht ist es bald so weit.
Die ersten Sonnenstrahlen griffen um sich, wie Finger, die vorsichtig nach ihrem Ziel tasteten. Die Baumkronen wurden erhellt und erstreckten sich wie eine einzige grün-braune Fläche bis zum Horizont. Hier und dort waren karge Berge zu entdecken, die sich wie alte Buckel aus dem Wald reckten. Die ersten Vögel stiegen flatternd aus ihren Nester auf und unterstrichen das lebendige Bild, welches sich sich ihm bot.
Seine Hand wanderte nach oben und strich die Kapuze von seinem Kopf; machte die kurzen Haare für die angenehme erste Wärme des Tages frei. Seine Finger fanden durch die steigende Temperatur langsam wieder ihr Gefühl. Er ballte seine Hände zu Fäusten, öffnete sie wieder und wiederholte das ganze Prozedere.
Hinter Karas ertönten leise Schritte, die sich ihm gleichmäßig näherten. Er schloss ein letztes Mal die Augen, sammelte die Eindrücke der friedlichen Einsamkeit in seinen Gedanken und seufzte zufrieden. Als er sie wieder öffnete, stand neben ihm eine Person, komplett eingehüllt in die gleiche braune Kutte, die auch Karas trug.
Bruder“, sagte der Neuankömmling, das Gesicht nach vorne gerichtet und komplett vor ihm verborgen. 


In den kommenden Tag geht es direkt weiter mit Kapitel 1!

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