Freitag, 18. März 2016

Kapitel 2, Part 3

„Wichtig ist, dass du dich an deine Aufgabe hältst. Reise zurück in die Zivilisation und finde heraus, was dort vor sich geht. Wenn der Tag des jüngsten Gerichts bevorstehen sollte, müssen wir gewarnt sein, Bruder“, fuhr er fort, „Du bist unsere einzige Hoffnung mehr zu erfahren, bevor es möglicherweise zu spät ist.“
„Und wohin soll ich mich genau begeben? Hat meine Reise ein Ziel, Pater?“
Der Gesichtsausdruck des Alten wurde düster und grimmig: „Schatten sinken überall nieder. Der Kontinent verschwindet in der Dunkelheit, die Hoffnung schwindet zusehends. Das Ziel deiner Reise wissen wir ebenso wenig, wie die Situation außerhalb der Mauern. Namen von Orten oder Gebieten sind allerdings ohne Belang, denn du wirst es zweifellos bemerken, wenn du am Ende deiner Reise angekommen bist.“
„Wenn ich die benötigten Informationen gefunden habe, was geschieht dann? Wird der Orden aus dem Exil zurückkehren und sich der Dunkelheit stellen? Welche Rolle werden wir spielen, Pater?“
Sein Lehrer kreuzigte seinen Körper mit dem Zeigefinger – erst die Berührung an der Stirn, dann der Brust, gefolgt von der linken sowie der rechten Schulter. Am Ende küsste er die gerunzelte Haut auf seinem geschlossenen Handballen, ehe er flüsternd, fast unverständlich antwortete:
„Bete zu den Göttern, dass sich unsere Sorgen als unbegründet herausstellen, mein Sohn. Sollten wir uns nicht irren, wird es ganz gleich sein, wie wir uns entscheiden. Vor dem Fegefeuer der Hölle kann man sich nicht verstecken.“

Nachdem die Prozession der Fackelträger schleichend das Ende der Treppe erreicht hatte, verschwanden sie träumerisch summend im großen Tor, welches zum heiligsten Ort des Klosters führte. Die Schwärze des Eingangs verschluckte nach einem kurzen Augenblick die flackernden Flammen und tilgten jegliche Beweise ihrer Existenz. Die beiden Mönche alleine. Als es ruhig um sie auf der Mauer geworden war und nur noch der Wind über die Zinnen als einziger Zuhörer wehklagte, nickte der Mentor seinem Schüler aufbauend zu und führte in sachte zur finalen Weihe. Gemeinsam kehrten sie der steinerne Grenze zur Außenwelt den Rücken und trabten zusammen durch den verlassen Hof, der sonst nur mitten in der Nacht, wenn alle tief schliefen, zu solch einer Ruhe kommen würde. Es war nicht nur für Karas ein besonderer Moment im Leben, sondern auch für seine Brüder. Nicht viele bekamen in ihrer Lebenszeit die Chance, einen Abgesandten hinaus in die weite Welt marschieren zu sehen und bei der Rückkehr neue Details zu erfahren Er war sich noch nicht einmal sicher, ob jemals ein Abgesandter nach draußen geschickt wurde, seit die Mönche sich für das Exil entschieden hatten. Zwar war in den Büchern und Schriftrollen die Rede von tapferen Recken, die sich vollen Mutes nach draußen wagten, aber er kannte niemanden, der tatsächlich Zeuge davon gewesen wäre. Waren die Läufer nur eine alte Legende, von den Gründern des Ordens ausgedachte Lichtgestalten, oder gab es in der Vergangenheit tatsächlich andere, die sein Schicksal geteilt hatten? Karas war sich nicht sicher, ob er die Antwort jemals erfahren würde.
Im Grunde genommen ist es völlig egal, ob ich der erste oder nur einer von vielen Läufern bin. Wichtig ist nur, dass ich Schabanach nicht enttäuschen werde und meine Brüder nicht im Stich lasse. Mein Pater zählt auf mich. Mein Orden zählt auf mich. Alle zählen auf mich. Ich werde sie nicht enttäuschen, niemals.
Sie überquerten den Hof mit den Gewächshäusern und den kleinen, säuberlichen angelegten Feldern, die für die Lebensmittelversorgung der Mönche dienten. Alles wirkte wie ausgestorben, niemand war zu sehen. Mit seinen Brüdern waren auch jegliche Geräusche verschwunden. Selbst der Wind schien sich mittlerweile entschieden zu haben, seine Arbeit einzustellen und Karas mit seinen Gedanken alleine zu lassen. Sein Mentor lief schweigend neben ihm her. Der junge Mönch fröstelte und eine Gänsehaut machte sich auf seinem Rücken breit.
Nun ist es also so weit, der große Tag ist gekommen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Die Beiden erklommen das Ende der Treppe und Karas drehte sich ein noch einmal um, um seine Heimat ein letztes Mal mit den Augen eines Adepten zu betrachten. Nach der Weihe würde sich sein gesamtes Leben verändern. Er würde die Kammer als ein Läufer verlassen. Ein Abgesandter, der das Ungewisse bereisen würde, ein gesalbter Anhänger des Schabanach. Karas atmete tief durch und trat durch das Tor, hinein in das Mittelgebirge. Mit jedem Schritt näherte er sich seiner ultimativen Bestimmung.

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